Die Millener St. Nikolaus Pfarrkirche

Das dem hl. Nikolaus geweihte Gotteshaus in Millen ist die westlichst gelegene Pfarrkirche Deutschlands. Der Altar- und Chorraum stammen aus der Zeit vor 1000. Die Kirche ist im Gegensatz zu vielen anderen Kirchen einzigartig, da zwar im Laufe der Jahrhunderte angebaut wurde, jedoch die Kirche in ihrer Form weitgehend unverändert geblieben ist.

Schon vor 1000 errichteten die Herren von Millen eine Kirche. Diese Eigenkirche war schon damals dem hl. Quirinus und dem hl. Gangolphus geweiht. Von dieser alten Bauanlage sind heute noch der Altar- und der Chorraum vollständig erhalten und in die jetzige Kirche integriert.

Zur Amtszeit des Siegburger Abtes Kunos I.zwischen 1106-1126 wurde die Kirche an die Benediktinerabtei Siegburg übergeben. Somit wurde sie 700 Jahre zur Propsteikirche der Benediktiner, bis 1794 unter französischer Herrschaft die Klöster aufgelöst wurden und die Kirche auf die Zivilgemeinde überging.

Zur Baugeschichte

Die Millener Pfarrkirche ist ein zweischiffiger Flachdeckbau mit Chor aus zwei jeweils einspringenden, auch in der Höhe gestaffelten Gevierten, dem jetzigen Chor- und Altarraum. In ihrer Grundsubstanz ist sie ein frühromanischer Saalbau. In der Millener Kirche sind vorromanische Teile vollständig erhalten: Der Altar- und der Chorraum. Das Hauptgebäude der Kirche ist aus faustgroßen Kieseln und römischem Altmaterial in Verbindung mit Mörtelguß errichtet. Die saubere Schichtung läßt sich noch gut erkennen. Die Eckquader sind aus Sandstein. Einst war sie ein einschiffiger Bau. Dieser bestand aus dem jetzigen Chor- und Altarhaus sowie einer Verlängerung des Altarraums nach Westen. Die alte westliche Wand wurde in der Folgezeit entfernt und das heutige Kirchenschiff angefügt. Im 12. Jahrhundert wurde weiterhin die Quirinuskapelle und das Seitenschiff an das Kirchenschiff angebaut. Die nördliche Wand des Schiffs wurde dabei durchbrochen und bildete mit insgesamt vier Rundbögen eine Verbindung von Haupt- und Seitenschiff. Heute sind von diesen vier Rundbögen nur noch zwei zu sehen: Das Eingangsportal und der Zugang zur Quirinuskapelle. Die anderen beiden Rundbögen waren dort, wo sich heute die Kanzel und der Beichtstuhl befinden. Mit dem Seitenschiff und den Arkaden muß es eine hübsche kleine Basilika gewesen sein. Die Sakristei fungierte ehemals eine Balbinakapelle und wurde im Zuge der Stuckarbeiten im Chor- und Altarraum um 1644 als Kapelle des damaligen Propstes Otto Heinrich von Bylandt erbaut, der auch die Stuckaturen in der Kirche anbringen ließ. Auch diese Balbinakapelle war mit reichen Ornamenten versehen. Der wuchtige Turm wurde 1659 ganz im Stil seiner Zeit errichtet. In früherer Zeit bestand ein hölzerner Turm aus dem 12. Jahrhundert, der 1659 als baufällig erwähnt wird.

Altar und Chorraum

Im ältesten Teil der Millener Pfarrkirche, dem Altar- und Choraum ließ der Propst Otto Heinrich von Bylandt im Jahr 1637 Stuckaturen anbringen, die wohl einzigartig für die damalige Zeit sind, sog. „erzählender Stuck". Am Ostgiebel des Chorhauses ist das Martyrium des Marschall Quirinus dargestellt. Der Marschall Quirinus, der Bewacher des Papstes Alexander I im Gefängnis, der sich im Jahre 119 n. Christus in Rom, nach einer wunderbaren Genesung seiner Tochter Balbina mit seiner ganzen Familie hat taufen lassen, erwarb sich dadurch die Feindschaft des Kaisers Hadrian und wurde danach selber zum Märtyrer. An den Wänden und an der Decke sehen wir in sieben Szenen die Folterung und schließlich die Enthauptung des heiligen Quirinus.

Daß es sich bei den Folterszenen ausschließlich um den heiligen Quirinus handelt, geht daraus hervor, daß über jeder Szene das Wappen des heiligen Quirinus erscheint, ein Blattschild mit neun Punkten darauf, das er auch auf seiner Fahne und seinem Schilde führt. Über jeder Folterszene sind Wolken dargestellt, aus denen die Hand Gottes beschützend hervorschaut. Außerdem ist an der Decke in einem zweiten Medaillon die Marienkrönung dargestellt.

An der rechten Seite ist die heilige Balbina dargestellt. Über der heiligen Balbina ist das Wappen des Propstes Otto Heinrich von Bylandt abgebildet, der von 1636 bis 1668 Propst in Millen war. An der linken Seite sehen wir das Wappen des Baron de Plevitz. De Plevitz hat den Stuck im Jahre 1859 renovieren lassen.

Die Art der Technik der Stuckaturen wurden durch Kunststuckateure gefertigt, die in damaliger Zeit auch Kalkschnitzer genannt wurden. Die „Kalkschnitzerei" ist, wie Experten sagen, in dieser frühen Zeit für unsere Region und wohl für den ganzen Bereich diesseits der Alpen einzigartig. Da die Benediktinermönche weitreichende Verbindungen über den ganzen europäischen Kontinent besaßen, ist es durchaus möglich, dass es italienische Stuckateure gewesen sind, die z.B nach den Vorbildern Michelangelos die ungewöhnlich lebendig wirkenden und handlungsbezogenen Stuckszenen geschaffen haben. Wolfgang Zahn stellt in seinem Aufsatz „Die Restaurierung im Chor der kath. Pfarrkirche St. Nikolaus in Millen", Heimatkalender 1979, fest: „Dieser merkwürdige Stil ist durchaus in dieser Zeit nicht allgemein üblich, und bei der geringen Anzahl erhaltener Stuckaturen aus diesem Jahrhundert nimmt er eine ganz besondere Stellung ein. Charakteristisch sind die fast lebensgroßen Figuren in den einzelnen Szenen, die aus den Hintergrund hervorgetrieben, nahezu schwebend, sich in einer raumlosen Fläche bewegen, auf einzelne Schollen stehend und durch rahmende Wolkenränder zu Szenen zusammengefaßt werden. Trotzdem sprüht aus den einzelnen Szenen viel Phantasie und volkstümliche Erzählkraft voller lebendiger Naivität. Im Gegensatz zur stilisierten Pflanzenornamentik wird bei den Figurengruppen die Leiblichkeit und Fülle betont. Der volkstümliche Erzählstil wird durch die gleichmäßige Farbfassung, bei der nur Gesten und Zeichen der Handlung farbig abgesetzt sind, besonders deutlich gemacht."

Das Kirchenschiff

Das Kirchenschiff, das um 1120 angebaut worden ist, war die Gemeindekirche. Unter dem Triumphbogen stand der Nikolausaltar und der Marienaltar links daneben. Beichtstuhl, Kanzel und Kronleuchter sind aus dem 17. Jahrhundert. Im Jahre 1859 hat sich das Aussehen des Kirchenschiffes durch Verlängerung der Fenster an der Südseite und durch Zumauern der Fenster an der Nordseite stark verändert. Auch wurde damals die Orgelbühne vergrößert, und eine neue Orgel angeschafft. In dieser Zeit wurden auch die Grabsteine, die bis dahin im Inneren der Kirche lagen, aus der Kirche entfernt. Einer wurde als Eingangsstein vor dem Kirchenportal gebraucht, zwei wurden in der Westmauer des Seitenschiffes eingemauert, einige sind zerbrochen und fanden Verwendung in den Fundamenten der Quirinuskapelle, die 1894 verbaut worden ist.

Das Seitenschiff gehörte früher noch zum Hauptschiff und verband diese mit 4 Rundbogenarkaden. Auch diese sind heute noch erhalten, wenngleich sich ihre ursprüngliche Zweckbestimmung geändert hat. Der erste ist heute der Beichtstuhl, der zweite die Eingangstür zum jetzigen Kirchenschiff, der dritte der Eingang zur Quirinuskapelle und der vierte der Antoniusaltar.

Die Quirinuskapelle

1149 wurde das Seitenschiff erbaut. Die Herren von Millen erbauten diesen Teil der Kirche als Ersatz für ihre Eigenkirche, die einige Jahre zuvor zur Propsteikirche geworden war. Dieses Seitenschiff ist durch einen Rücksprung klar in zwei Teile gegliedert: östlich die mit einer Rundapsis ausgestattete Quirinuskapelle und westlich ein einfaches schmales Seitenschiff. Diese Bauten sind größtenteils aus Maastrichter Sandstein und grauem Bruchstein errichtet. Die vorspringende Rundapsis ist von außen mit Arkadenschmuck versehen. Einst war in der Mitte der Apsis ein Rundfenster. Im Jahre 1894 wurde die Quirinuskapelle restauriert. Dabei verschwanden das Dach des Seitenschiffs und das polygonale Dach der Quirinuskapelle, so daß der selbständige Charakter der Quirinuskapelle verwischt wurde und sie nunmehr wie ein eigentliches Seitenschiff wirkt. Die Schicht aus Maastrichter Sandstein ist ebenso ein Resultat dieser Restaurierung. Früher war die Außenwand der Kapelle, ebenso wie der restliche Baukörper, aus Maasfindlingen errichtet. Die Außenmauern des Seitenschiffs wurden mit grauem Bruchstein erneuert.

Im Inneren der Quirinuskapelle steht in der Apsis ein Altar, der als auch Brunnenaltar bezeichnet wird. Betrachtet man den Altar nun näher, so sieht man, dass er mit sogenannten Andreaskreuzen versehen ist. In dieser Form ist er nur noch im Aachener Dom zu finden. Der Brunnenaltar besteht aus einem Sockel, indem sich ein Reliquienkästchen befindet. Er besitzt eine Öffnung zum Kellerbereich, in die nach alter Sitte das übriggebliebene Taufwasser gegossen wurde. Dieser Sockel hat eine halbrunde Form und ist mit einer Altarplatte aus sogenanntem Marmorsinter abgedeckt. Das Material in einer „gelblichen Grundtönung und mit einer lichtbraunen gerade verlaufenden Bänderung" entstand in der Römerzeit, als sich auf den Rinnen der römischen Eifelwasserleitung Kalkstein bildete, der im Laufe der Zeit versteinerte. Als man wahrscheinlich schon in karolingischer Zeit anfing, die Kanalbauten abzubrechen um Steinmaterial zu gewinnen, stieß man auf diesen Kanalsinter, der nach dem Schleifen und Polieren als willkommener Marmorersatz diente.

Als 1971 bei der Verlegung eines Luftschachtes der Kirchenheizung in dem Bereich der Quirinuskapelle gegraben wurde, öffnete man versehentlich eine Gruft. Nach Aussage von heute noch lebenden Zeitzeugen fand man in einem der beiden Särge einen Leichnam auf langem Haferstroh gebettet, der wie ein Abt mit langen Gewändern und mit Mitra und Stab bekleidet war. Am nächsten Morgen war er jedoch zu Staub zerfallen. Leider hat man die Gelegenheit nicht genutzt um weitere Untersuchungen vorzunehmen und den Grabkeller umgehend wieder geschlossen.

Besonders anziehend wirken in der, eigentlich der Muttergottes geweihten Kapelle die farbenfrohen Stuckverzierungen, die Propst Otto Heinrich von Bylandt 1636 anbringen ließ. So ist am Chorhaupt und in der Apsis die Aufnahme Mariens in den Himmel dargestellt. Die Muttergottes wird umrahmt von zwei musizierenden Engeln und einer Glocke, die als Symbol für das „himmlische Jerusalem" steht.

Oberhalb des Eingangs der Quirinuskapelle sieht man von innen drei Jahreszahlen; 1008, 1636 und 1894, die auf Daten wichtiger baulicher Maßnahmen in der Kirche hinweisen. Spricht dieser schon eindruckerweckende und geschichtsträchtige Raum den Besucher auf ganz besondere Weise an, so tun die Reliquiare und ansprechenden Holzfiguren aus dem 15. und 16. Jahrhundert sowie Messbücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert das ihrige dazu, um einer besonderen Kostbarkeit gerecht zu werden.

Balbinakapelle (Sakristei)

Die frühere Balbinakapelle und jetzige Sakristei wurde 1644 durch Propst Otto Heinrich von Bylandt als persönliche Kapelle gebaut. Sie ist schlichter gehalten und zeigt nur wenige dezente Stuckverzierungen Sie hatte früher zwei andere Eingänge. Der jetzige Zählerschrank war der Eingang zum Altarhaus, an der Südmauer der Balbinakapelle, wo jetzt der Weihrauchschrank hängt, war eine Außentür zur Propstei - man kann die Verzierungen über der Tür noch deutlich erkennen. Im Jahre 1859 wurden diese Türen zugemauert und zur Nutzung als Sakristei die heutigen zwei Türen gebrochen. Unter der Sakristei wurde 1935 der Heizungskeller gegraben. Dabei fand man Gebeine, von denen man vermutet, dass es die Gebeine von Propst Otto Heinrich von Bylandt sind.

Westgiebel

Am Westgiebel des Seitenschiffes finden wir die Priestergruft, die um 1905 gebaut wurde. Unter dem Seitenschiff sind Grabkeller, die hier ihren Eingang hatten. Dieser Eingang wurde beim Bau der Priestergruft gefunden und wieder zugemauert. Darüber im Westgiebel des Seitenschiffes sind die zwei einzigen, noch erhaltenen Grabsteine aus dem Kircheninnern eingemauert.

Anstelle des heutigen, 1659 erbauten Turm, stand vorher ein hölzerner Turm, der allerdings so schlecht war, dass er abgebrochen werden mußte. Die Steine für den neuen Kirchturm stammen von der nahen Burg Millen. (Die damals verfallene Burg wurde abgerissen; die Bauern von Millen durften damals Sonntagsarbeit verrichten um die Steine zur Kirche zu transportieren).

Südwand

Die Südseite ist die schönste Seite der Millener Kirche, sie ist heute nahezu in ihrer ganzen Schönheit wie vor tausend Jahren erhalten geblieben. 1859 hat man allerdings die Fenster verlängert.

An der Chorwand befindet sich eine zugemauerte Tür. Diese Tür stammt aus dem 10. Jahrhundert, ist vielleicht aber noch älter und gehört zum ältesten Teil der Kirche, dem Altarraum. Später ist diese Tür aus dem Altbau an die jetzige Stelle gesetzt worden um den Mönchen den Durchgang zum Kloster zu ermöglichen. An der Seite dieser Tür sehen wir zwei Steinpfosten, darauf einen giebelförmigen Sturz. Im feinprofilierten Türsturz sieht man ein Steckkreuz auf dünner Stange mit Perlstäben in antiker Art verziert. (vergleiche Lotharkreuz aus dem neunten Jahrhundert im Aachener Dom) An den senkrechten Steinpfosten der Türgewände sieht man tief eingefurchte Rillen. Man schliff, nach altem Brauch zum Antritt in den Krieg die Waffen an der Pforte des Gotteshauses.

 

Ostgiebel

Am Ostgiebel sind die unterschiedlichen Bauepochen am besten zu erkennen. Es lassen sich drei verschiedene Mauerwerke erkennen. Im oberen Bereich des Giebels befindet sich eine Nische mit einer St.Nikolausfigur, die 1997 hier feierlich aufgestellt wurde.

Bei der Entfernung des Putzes an der östlichen Altarrückwand 1924 wurde das alte Mauerwerk freigelegt. Bei dieser Renovierung trat 75 cm über dem Erdboden ein viereckiger, wulstig behauener Blaustein zutage, der sich zur Mitte hin vertieft und eine kreisrunde Öffnung aufweist. Dieser eigentümliche und an dieser Stelle auffallend erscheinende Stein ist mit aller Wahrscheinlichkeit als der äußere Bestandteil eines sogenannten "Oculus" anzusehen. Er kann zur Aufnahme der Eucharistie von außen gedient haben. Weiterhin kann er eine Totenleuchte getragen haben, in deren Schein die Toten ruhten. Man erkennt noch gut eine Bleigußstelle, die ein Teil eines Abschlußgitters gewesen sein kann.

 

Nordwand

An der Nordwand der Kirche, etwa drei Meter über der Apsis der Quirinuskapelle, ist noch ein Teil von einem römischen Grabstein zu sehen. Man nimmt an, dass die Römer schon hier an dieser Stelle ihren Friedhof hatten.

So kann man abschließend wohl sagen, daß Millen mit seiner altehrwürdigen Kirche, der Propstei, und der dazugehörigen Zehntscheune, ein kulturhistorisches Zentrum aufweisen kann, das weit über den Selfkant hinaus Beachtung und Wertschätzung erfährt.